Ansichten eines Clowns [Rezension]

 

 

"Ich bin ein Clown und sammle Augenblicke"




Titel: Ansichten eines Clowns
Autor: Heinrich Böll
Verlag: Kiepenhauer & Witsch
Seiten: 318
Erscheinungsjahr: 1963
Buch-Nr.: 04011/3
Genre: Klassiker
Art: fester Einband

"Atheisten langweilen mich, weil sie immer nur von Gott sprechen.

"Es war schon dunkel, als ich in Bonn ankam, ich zwang mich, meine Ankunft nicht mit der Automatik ablaufen zu lassen, die sich in fünfjährigem Unterwegssein herausgebildet hat. 





Hans Schnier ist Clown, Berufs-Komiker. Er kehrt pleite und erfolglos in seine Heimatstadt Bonn zurück. Kürzlich erst hat er sich bei einem Auftritt das Bein gebrochen und ist jetzt erstmal arbeitsunfähig. Gebrochen ist auch sein Herz, seitdem er mit seiner Jugendliebe Marie Derkum Schluss gemacht hatte, die nun mit Heribert Züpfner verheiratet ist. Sie ist strenge Katholikin, was zwischen ihnen gestanden hatte. Als unverheiratetes Paar haben die beiden damals im Nachkriegsdeutschland der 50er Jahre Sünden begangen, ihre Liebe stand unter keinem guten Stern. 
Die Handlung erstreckt sich nur über einige Stunden, in denen Hans in seiner Bonner Wohnung ankommt und ein Telefonat nach dem anderen mit den verschiedensten Personen führt, die Einblick in sein "armseliges" Leben geben: Die Mutter, die mit einer nationalsozialistischen Vergangenheit nun im "Zentralkomitee zur Versöhnung rassischer Gegensätze" arbeitet und zu der er nur ein distanziertes Verhältnis hat. Ihr Schweigen von der Schwester, die im Einsatz für das deutsche Vaterland gefallen ist. Der Bruder, der sich vom Protestantismus abgewandt und der Kirche zugewandt hat. Mitglieder aus der katholischen Kirche, mit denen sich nicht reden lässt. Der Vater und seine neue Lebensgefährtin, von denen er sich finanzielle Hilfe erhofft. Und natürlich Marie. Die in den Gedanken noch so nah, aber ansonsten mehr als fern ist. Zahlreiche Rückblenden an die Kindheit in der Hitlerjugend, die Jugendjahre und die nahe Vergangenheit geben Aufschluss über die Misere.

"Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.



Es war auf der einen Seite ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe, auf der anderen wird es seinem Titel mehr als gerecht und hat mich vor allem  mit seinem tiefen Blick überrascht. Ich habe mit lockerer Satire gerechnet, die in Gesellschaftskritik getränkt ist. Ich habe sogar mehr als das bekommen. Denn beides wird in Form einer tiefschürfenden Erzählung aufgetischt.  
Ich habe das Buch als Hörbuch gehört und war sehr angetan von der tonlichen Inszenierung. Aber nächstes Mal werde ich es auf jeden Fall selbst lesen. Denn es gab vieles, was ich mir markieren und wollte und so aufwendig suchen musste. Man meint es nämlich nicht, aber alles, was in diesem Buch nur so dahin gesagt wirkt, hat eigentlich eine tiefere Bedeutung...

Und belanglos ist die Thematik hier wirklich nicht. Wenn es einem nicht reicht, dass es von starkem Liebeskummer und Einsamkeit, unglücklichen Familien und clownischer Existenznot handelt, so wird man feststellen, dass es auf gesellschaftlicher Ebene viele Diskussionspunkte eröffnet: Hat die Kirche zu viel Macht? Wer lebt hier am ehesten nach den christlichen Gesetzen? Sollte sich die Kirche in das private Glück einmischen dürfen?
Und ganz wichtig ist auch, dass es sich um einen Nachkriegsroman handelt. Zugegeben, die thematischen Schwerpunkte sind aus heutiger Sicht schon etwas angestaubt, was mein einziger "Kritikpunkt" ist. Denn zum Zeitpunkt der Erscheinung war es hochaktuell und kontrovers. Die Rückblenden geben Aufschluss über die Uneindeutigkeit der geltenden Werte im Nachkriegsdeutschland und Hans' (evtl. und ziemlich wahrscheinlich auch Bölls) Sicht auf die Dinge. Um dies zu erkennen, muss man nur die dicke Schicht Humor (in Form von Ironie, Sarkasmus, Zynismus...) abtragen.
Sprachlich war es wirklich hervorragend! 

Ich habe lange überlegt, ob sich das Buch heute noch als Schullektüre eignet und bin zu dem Schluss gekommen, dass es immer noch gut in den Unterricht passt. Gerade Erzähltheorie kann man aufgrund der vielen inneren Monologe und dem besonderen Zeitverhältnis von  Handlung und Erzählung sehr gut thematisieren.
Allerdings führt meiner Meinung nach kein Weg daran vorbei, auch die Komik auseinanderzunehmen. Was ist es, was den Schreibstil so auffrischt? Was macht Humor zum Humor? Welche Stilmittel werden verwendet? Worin unterscheiden sich Ironie, Sarkasmus und Zynismus?
Des Weiteren sollte eine zeitliche Einordnung nicht zu kurz kommen. Woran ist ersichtlich, dass es sich um Nachkriegsliteratur handelt? 
Und auch intertextuelle Bezüge zu anderen Werken sollen herangezogen werden. 
Alles in allem vielleicht kein Buch für die Abiturjahrgänge, aber in der Einführungsphase bietet es allemal genug gehaltvollen Stoff für eine Auseinandersetzung im Deutschunterricht. Und wer es einfach so lesen möchte, der macht auch nichts verkehrt!
Es ist scheußlich, reiche Eltern zu haben, besonders scheußlich natürlich, wenn man von dem Reichtum nie etwas gehabt hat.



Intelligente Satire, wenn man sich einfach mal berieseln lassen will!


"Man zählt die Toten, die Lebenden, und der Spaß ist zu Ende. Aber diese Schweinerei von einer Krankheit! Sogar die, die sie nicht haben, tragen sie im Herzen."





"Rieux richtete sich auf und sagte mit fester Stimme […], man brauche sich nicht zu schämen, wenn man das Glück vorziehe. ‚Ja‘, sagte, Rambert, ‚aber man kann sich schämen, allein glücklich zu sein.'








"Mir muss eine Sache Spaß machen, sonst werde ich krank."  

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"Der Feierabend eines Nichtkünstlers ist die Arbeitszeit eines Clowns.

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"Der Arzt wusste nicht, ob Tarrou schließlich den Frieden gefunden hatte, aber er glaubte zu wissen, wenigstens in diesem Augenblick, dass für ihn selbst ein Friede niemals mehr möglich sein werde, so wie es für die Mutter, die ihren Sohn verloren hat, oder für den Mann, der seinen Freund begräbt, keinen Waffenstillstand gibt.

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"Wenn es etwas gibt, das man immer ersehnen und manchmal auch erhalten kann, so ist es die liebevolle Verbundenheit mit einem Menschen. Das wussten sie jetzt.

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"Er wollte nicht zu denen gehören, die schweigen, er wollte vielmehr für diese Pestkranken Zeugnis ablegen und wenigstens ein Zeichen der Erinnerung an die ihnen zugefügte Ungerechtigkeit und Gewalt hinterlassen; er wollte schlicht schildern, was man in den Heimsuchungen lernen kann, nämlich dass es an den Menschen mehr zu bewundern als zu verachten gibt.

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"Es kann übrigens gesagt werden, dass die eigentliche Herrschaft der Pest in dem Augenblick zu Ende war, da für die Bevölkerung ein Fünklein Hoffnung wieder möglich wurde."

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"‚Eigentlich‘, sagte Tarrou schlicht, ‚möchte ich gerne wissen, wie man ein Heiliger wird.‘ – ‚Aber Sie glauben ja nicht an Gott.‘- ‚Eben. Kann man ohne Gott ein Heiliger sein, das ist das einzig wirkliche Problem, das ich heute kenne.'"

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"Wissen Sie, ich fühle mich mit den Besiegten eher verbunden als mit den Heiligen. Ich glaube, dass ich am Heldentum und an der Heiligkeit keinen Geschmack finde. Was mich interessiert, ist, ein Mensch zu sein.

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