Die Tribute von Panem - Das Lied von Vogel und Schlange [Rezension]
Titel: Tribute von Panem - Das Lied von Vogel und Schlange #4 Autor: Suzanne Collins Übersetzung: Aus dem Amerikanischen von S. Hachmeister u. P. Klöss Verlag: Oetinger Seiten: 607 Erscheinungsjahr: 2020 ISBN: 978-3-7891-2002-2 Genre: Jugendbuch, Dystopie Art: fester Einband
"Coriolanus ließ den Kohl in den Topf mit kochendem Wasser gleiten und schwor sich, ihn eines Tages für immer vom Speiseplan zu verbannen. "
Anlässlich der zehnten Hungerspiele soll es etwas ganz Neues geben: Mentoren, die die Tribute unterstützen und für höhere Einschaltquoten sorgen. Einer von ihnen ist Coriolanus. Er freut sich auf die Aussicht, durch das Mentorenprogramm die Chance auf ein Stipendium zu bekommen. Doch zu seinem Übel wird ihm ein schmächtiges Mädchen aus Distrikt 12 zugeteilt: Lucy Gray. Und ganz normal scheint sie auch nicht zu sein. Bei der Ernte sorgt sie mithilfe einer Schlange für großen Aufruhr. Aber sie weiß die Menschen für sich einzunehmen. Als Teil der Covey, einer Musikergruppe, die durch Panem ziehen, geht ihr ständig ein Lied über die Lippen. Doch wie soll ihnen das helfen, sie dem Sieg in der Arena näherzubringen? Für Coriolanus ist klar: Es wird auf Schadensbegrenzung hinauslaufen! "'Wir werden dieses Ding gemeinsam gewinnen, Lucy Gray. Versprochen.' Sie umklammerte seine Hand ganz fest. 'So, wie du das sagst, klingt es, als ob es möglich wäre.'" Was soll ich sagen? Das war eine seltsame Reise. Es ist wahrscheinlich immer mit einem Gefühl der Ernüchterung verbunden, wenn man eine Reihe, die man in frühen Jugendzeiten anfängt und feiert, als Erwachsene fortsetzt. Diesem Phänomen war ich hier leider ausgesetzt. Es hat etwas gedauert, bis ich in das Buch reingekommen bin. Es mag an der neuen Situation liegen. Panem zu einer anderen Zeit, beginnend im Kapitol, keine Spur von Katniss. Aber das glaube ich weniger. Darauf war ich ja eingestellt. Ich führe es auf den Schreibstil zurück. Er wirkte hemmend auf mich, wenig vertraut. Mein erster Gedanke war, dass es an der Übersetzung liegt. Ich habe aber gerade nachgeschaut und festgestellt, dass es dieselben Übersetzer sind wie damals. Wenn also Suzanne Collins ihren Stil nicht verändert hat, sind die Voraussetzungen gleich. Bleibt wohl nur noch die Erklärung durch meine eigene Veränderung. Der Stil hat mich besonders bei den vielen Liedtexten gestört. Hätte man die nicht im Original lassen können? Um es vorwegzunehmen: Ich habe mich schließlich, und keinesfalls zu spät, an den Stil gewöhnt und wollte das Buch nicht aus der Hand legen. Nebenbei bemerkt: Das liegt nicht zuletzt daran, dass es haptisch so angenehm anzufassen ist. Größtenteils führe ich es aber auf die Spannung, die das Buch aufgrund seiner besonderen Perspektive aufbaut, zurück. Coriolanus ist weiß Gott kein Sympathieträger. Nicht einmal zu Beginn, als man hofft, dass der Kapitolssprössling durch Lucy Gray humanistische Qualitäten dazugewinnt. Und eben auch, weil man den zukünftigen Coriolanus aus den alten Büchern kennt, wollte ich die ganze Zeit wissen: Was ist die Geschichte dieses Mannes? Wie ist der alte weiße Mann aus dem Jüngling hier hervorgegangen? Die Protagonistin, Lucy Gray, ist in meinen Augen nicht so sehr gelungen. Ich konnte mich nicht an sie klammern, obwohl man in einem Jugendbuch einen sympathietragenden Anker sucht. In dieser Welt habe ich ihn nicht gefunden. Lucy verkörpert sich widersprechende Eigenschaften. Sie ist aufrichtig und auf der anderen Seite weiß sie, welche Mittel sie anwenden muss, um zu erreichen, was sie will. Ich hatte bei ihr keine Gestalt vor Augen, jedenfalls keine mit festen Konturen. Diese Einschätzung ist aber hochgradig subjektiv. Eine Freundin von mir hat zu Lucy Gray einen Zugang gefunden. Ihr Argument ist, dass es sie nur umso realistischer macht. Dass die beiden erst 16 sind, hat in mancher Hinsicht einer Wiederholung des erhabenen Gefühls von damals im Wege gestanden. Jetzt muss ich zurückschauen, damals habe ich vorausgeblickt. Die Liebe, die einem in diesem Buch begegnet, damit meine ich die anziehende und geschlechtliche, hat mir ebenfalls zu grübeln aufgegeben. Es ging so schnell und war so einfach gestrickt. Aber schließlich kommt es zu dem großen Moment... Und da habe ich gedacht, dass ich selten so eine realistische Quittung der Gefühle bekommen habe wie am Ende dieses Buches. Ein reiner Gefühlscocktail. Nichtsdestotrotz wirkte es für mich in einem Großteil der Geschichte sehr kindisch, wie Zwischenmenschliches behandelt wird. Damit meine ich, dass es sich vorwiegend an eine jugendliche Adressatengruppe zu richten scheint, obwohl es ja vorwiegend die Jugendlichen von damals sind, denen dieses Buch in die Hände fällt. Was dagegen sehr erwachsen wirkte, war der philosophische, politische, staatstheoretische Diskurs, der aufgeworfen wird. Darüber war ich überrascht. Wenn man es als Leser annimmt, dann bekommt man hier ausreichend Stoff zum Nachdenken. Gibt es den Naturzustand á la Hobbes wirklich? Das ist die Frage. Leider bleibt der Gedanke hier nicht komplett roh, sondern wird gewissermaßen vorgekaut. Eine Freundin hat versucht, einen aktuellen Bezug zu den Hungerspielen zu finden und den z.B. in der TV-Show ums Dschungelcamp gefunden. Aber der Haken in dem Vergleich liegt in der Freiwilligkeit der Schausteller. Ihr kam es aber um die Inszenierung an. Das Vergnügen, das aus dem Leid anderer geschöpft wird. Ich denke, dass man gar nicht in so spezielle Teilgruppen gehen oder in die Vergangenheit reisen muss, um den Realitätsbezug zu erfassen. Einen Stichwort, den ich dazu im Raum lassen möchte, lautet: Post-Kolonialismus. Für alle bisherigen Panem-Fans gibt es aber auch eine Menge zu erfahren: Wie die Entwicklung der Hungerspiele vonstatten gegangen ist, was es mit der Evolution der Spotttölpel auf sich hat, was die weißen Rosen bedeuten oder woher Tigris stammt. Das Buch lässt einen also keinenfalls kalt. Diese Zerissenheit war übrigens auch der Anlass für die Einführung von halben Catookies. Während es eine Freundin von mir zum baldigen Abbruch bewegt hat, hat es die andere in Begeisterung versetzt und mich in der Mitte stehen lassen. Abschließend möchte ich noch einige Fakten nennen, die mir aufgefallen sind: 1. Katniss taucht als Name eines Krauts auf, bestimmt nicht von ungefähr. 2. Das Buch fühlt sich sehr gut in der Hand an, mit dicken Seiten und einem pappenen Umschlag. Ist dafür aber auch sehr anfällig. Sorry, Lara! 3. Einige Seiten sind mit Tabellen der Tribute bedruckt, die immer wieder aktualisiert werden- unnötige Platzverschwendung, wenn ihr mich fragt. 4. Am Ende eines jeden Kapitels gibt es einen fiesen Cliffhanger, die man von der Autorin gewohnt ist. 5. Highbottom erinnert mich an Professor Snape aus Harry Potter. Von Anfang an hatte ich Hoffnung auf das Gute in ihm.
Everybody wants to rule the World The Mockingjay District 12 Air Raid Drill White Roses Jamming the Capitol Victory I had to do that Mockingjay Graffiti There are worse games to play
Einen so aufzuwühlen, das muss ein Buch erstmal schaffen!
|
Kommentare
Kommentar veröffentlichen