Die letzten Romantiker [Rezension]

 


"Nichts an der Liebe ist romantisch" 



Titel: Die letzten Romantiker
Autor: Tara Conklin
Übersetzung: Aus dem Amerikanischen von Edith Beleites
Verlag: HarperCollins
Seiten: 431
Erscheinungsjahr: 2021
ISBN: 978-3-95967-548-2
Genre: Roman des Lebens
Art: fester Einband



"Heute glaube ich, dass es Dinge gibt, die unvermeidlich sind. Nicht im Sinne von Schicksal, denn ich habe nie an etwas anderes als mich selbst geglaubt, vielmehr im Sinne der menschlichen Möglichkeiten. Es gibt Menschen, die wieder und wieder zerstören, was sie am meisten schätzen.
(S.250) 

 

"Zuerst hielt ich das Mädchen für eine Erscheinung. Ein Gespenst. Es stand auf und ging durch die Zuhörerreihen aufs Mikrofon zu





Im Sommer 1981 verlieren die Geschwister Renee, Caroline, Joe und Fiona ihren Vater. Es folgen Jahre, die als "die Pause" bei den Geschwistern eingehen, da ihre Mutter sich in ihrer Trauer verliert: Diese Jahre, in denen sie einander umsorgen, tagelang durch die Wälder stromern und Fiona, der Jüngsten, das Schwimmen beibringen, stärken das Band zwischen ihnen – doch welche Verletzungen sie davongetragen haben, offenbart sich erst Jahrzehnte später in einer weiteren Tragödie, die die Familie trifft.




"Es geht um die Kompromisse, die wir im Namen der Liebe eingehen.
(S.428)




Das Besondere an dieser Geschichte ist der große Zeitraum, über den sie sich erstreckt. Während der Anfang einer Dystopie ähnelt, die hundert Jahre in der Zukunft spielt, mutet der Rest eine Familientragödie an, die in den 80ern des letzten Jahrhunderts beginnt. Verrückterweise schaut die Leserschaft in ihre eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und kann sich somit mit der Erzählzeit mehr oder weniger identifizieren. Ich wurde dadurch mit meiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert, da ich wie die Protagonistin zu Zeiten der Erzählebene der Gegenwart entweder sehr alt oder schon tot sein werde. Ich fand es sehr ergreifend, das zu verinnerlichen. 

Was mich auch richtig verzaubert hat, ist die Atmosphäre, die besonders in den Rückblenden in die Kindheit geherrscht hat. So heimelig und geborgen, obwohl die Familienverhältnisse eigentlich dramatisch sind, auf der anderen Seite auch von großer Geschwisterliebe begleitet. Ich habe mich an die Kinderbuchreihe "Die Panderwicks" zurückerinnert gefühlt. Diese kann ich an dieser Stelle auch wärmstens empfehlen. Im Grunde wird das Leben eines jeden der vier Geschwisterkinder von der jüngsten der vier rekapituliert und es war spannend zu sehen, wie sie sich entwickelt haben. Teilweise haben sie große Kurven gemacht, waren mal mehr, mal weniger sympathisch. Für alle gab es Höhen und Tiefen. Am liebsten mochte ich aber die Beschreibungen der Locations: Wohnorte, Städte, Landschaften... 

Zwischendurch wurde ich immer wieder aus diesen Träumereien aufgeweckt und war wieder in der Gegenwart. Das hat mich genervt, denn dort war es nicht schön. Das ist auch mein Hauptkritikpunkt: Wenn dort dystopische Verhältnisse herrschen (Krieg, Naturkatastrophen wegen Klimafwandel oder was anderes?), hätte ich mir gewünscht, dass auch dort mehr Zeit reingesteckt würde und die Autorin auch diese Welt detailierter skizziert hätte. Das waren die Erwartungen, die ich nach der Leseprobe mitunter hatte. Letztendlich spielt es aber kaum eine Rolle. Das einzige, was man wissen muss, ist, dass die Welt offenbar ein kälterer, liebloser Ort geworden ist. Leider fehlt da im Zeitstrahl besonders in den letzten Jahrzehnten davor einiges. Während die Kindheit und Jugend detailliert beschrieben wurden, wird das Alter nur gerafft erzählt. Schade! Vor allem bleibt es im Familienkreis. Was ist in der Zeit mit der restlichen Welt geschehen?

Kommen wir zum Titel des Romans. Mit der Lektüre klärt sich auf, wie es wortwörtlich zu diesem kommt, aber trotzdem finde ich ihn im Nachhinein unpassend. Dafür wird viel zu wenig Raum für diesen Teil der Geschichte aufgewendet, obwohl er meiner Meinung nach spannend genug für einen eigenen Roman gewesen wäre. Ohne zu spoilern, kann ich nur sagen, dass viele interessante Fässer aufgemacht und ins Rollen gebracht werden. Wir lesen aber nur, was in ihnen sein soll und können nie wirklich reinschauen. Das hat mir gefehlt. Gerade in Bezug auf das Thema Romantik, das ja der Namensgeber des Ganzen ist. Auch wenn das Leben so vielseitig ist und es dadurch realistischer wirkte, hätte es auch gereicht, sich auf einige "Familienprobleme" zu beschränken und dem Kind einen anderen Namen zu geben. 


Sprachlich war es auch vielschichtig. Manchmal tauchten poetische, lyrische Passagen auf, da die Erzählerin selbst literarisch unterwegs ist. Den Schreibstil habe ich als sehr angenehm empfunden: Einige Bilder und schöne Metaphern, die ich noch nicht gehört habe*. Aber vor allem gradlinig und forttreibend. Nur manchmal, in Verbindung mit wörtlicher Rede, habe ich etwas gestutzt. Die Dialoge fand ich nicht sonderlich gewieft, besonders in der Gegenwart. 

Aber das wirkt jetzt doch ein wenig zu kritisch dafür, dass mich das Buch sehr gut unterhalten hat. Die Stimmung hat mich total erreicht und Fiona, die Protagonistin, ist total auf meiner Wellenlänge. Ein sehr interessanter Mensch, den ich gern als Freundin hätte. 

*"[...] als seien ihre Wangenknochen das Dach eines Hauses mit eingebrochenen Balken."

*"Sie legt sich hin und hat das Gefühl, eine weiche, kühle Kreatur suche eine Heimat auf ihrer Haut."



Songs der Beastie Boys



"Ja, darüber hatte ich auf DieLetzteRomantikerin.com geschrieben: dass die Sommersprossen am unteren Rücken von Mann #23 ein Muster bildeten, das mit dem Sternbild Andromeda beinahe identisch war." 

(S.201)

 



Es fühlte sich an, als wäre man in der Familie aufgenommen und gleichzeitig, als würde es jene gar nicht geben!

 

"In der nackten Dringlichkeit der Lyrik, ihrer Offenheit, den Räumen zwischen den Zeilen, den Wiederholungen und der Wesenhaftigkeit können Dichter sich auf eine Weise ausdrücken, die Kultur und Geschlechtlichkeit und Zeit transzendiert."
(S.427)








"Es gibt Tage, die sich jahrelang wiederholen, Jahrzehnt für Jahrzehnt, als seien sie ein immer gleiches inneres Erlebnis, das nur zufällig in der Gegenwart stattfindet. Ein fortdauerndes paralleles Leben. Eins, das man nur zu gern ändern würde.
(S.225) 









"Unsere Mutter war wie eine nicht regulierbare Heizung, wie ein außer Rand und Band geratener Rettungshund, der gebändigt worden war."  
(S.76)

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"'Gut. Tut euch mit einem Mann zusammen', sagte Noni. 'Aber denkt daran, dass er - zack! - weg sein kann. Von einem Moment  auf den anderen. Einfach weg. Also stellt euch darauf ein.
(S.79)


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"Kein Mensch auf dem Bürgersteig. Keine anderen Autos. Es war Abendbrotzeit. In den Häusern, an denen sie vorbeikam, waren die Lichter an. Jedes stellte sein eigenes Universum dar.
(S. 150)


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"Aber die lautere Stimme in ihr wünschte, sie stünde noch einmal im Schulflur und schlüge Brett Swenson dafür ins Gesicht, dass sie sich jetzt so infrage stellte.
(S.164)


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"Nur ein Wahnsinniger konnte glauben, dass individuelles Engagement ein System ändern konnte. Dazu bedurfte es eines Wunders oder angewandter Magie. Vielleicht bedurfte es lediglich der Alchemie von Individuen, die glaubten, als Erstes sich selbst ändern zu können.
(S.237)


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"Die Vorstellung, dass Gutes aus Schlechtem erwuchs, hatte Renee von jeher gefallen. So bekam das Sinnlose einen Sinn. Seit Joes Tod war sie von dieser Vorstellung nahezu besessen.
(S.326)


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"Was, wenn ihnen etwas Schreckliches passiert? Als trüge man sein Herz außerhalb des Körpers, vollkommen schutzlos, der Gnade von allem und jedem ausgeliefert. Es ist furchtbar.
(S.388f.)


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"Bei manchen Fragen bedeutete die Notwendigkeit, den anderen zu überzeugen, dass man bereits verloren hatte.
(S.399)


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