Drei Kameradinnen [Rezension]

 


"Wenn Antifaschissmus etwas Nennenswertes war, was sollte denn dann die unbenannte Norm noch sein?" 



Titel: Drei Kameradinnen
Autor: Shida Bazyar
Verlag: Kiepenhauer & Witsch
Seiten: 350
Erscheinungsjahr: 2021
ISBN: 978-3-462-05276-3
Genre: Erzählung, Aus dem Leben gegriffen, Zeitgeschehen, krit. Unterhaltung
Art: fester Einband


"Uns gibt es in dieser Welt nicht. Hier sind wir weder Deutsche noch Flüchtlinge, wir sprechen nicht die Nachrichten und wir sind nicht die Expertinnen. Wir sind irgendein Joker, von dem sie noch nicht wissen, ob sie ihn einmal zu irgendetwas gebrauchen können.
(S.457) 

 

"Ich möchte fair bleiben, alle Missverständnisse aus dem Weg räumen und von vornherein kein Geheimnis daraus machen, was dieser Text ist und was er nicht ist. 






Drei junge Frauen, eine bedingungslose Freundschaft und eine Nacht, die alles ins Wanken bringt. Voller Wucht und Furor erzählt Shida Bazyar in ihrem neuen Roman von den Spannungen und Ungeheuerlichkeiten der Gegenwart. Davon, was es heißt, wegen der Herkunft immer und überall unter Verdacht zu geraten. Und von dem außergewöhnlichen Bündnis dreier Freundinnen, die zusammenstehen, egal was kommt. 

 Die Autorin fackelt nicht lange rum und nimmt uns die Feuerschutzbrille ab, damit wir die Flammen sehen können, in denen Deutschland steht. Zwischen Rassismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus und Speziesismus führt sie uns mit durch den Alltag der drei Frauen, die jede ihre eigene Art gefunden hat, damit umzugehen. Ob auf Partys, in Restaurants, bei Vorstellungsgesprächen, es ist, als würden wir immer dieselben Diskussionen führen und dennoch nicht weiterkommen.


"Aber woher sollten wir wissen, dass die Welt jetzt, wo er weg ist, eine schäbigere Welt sein würde als die, in der wir zusammenkamen. Dass die Blicke und die Rassenideologie in der Zwischenzeit eine heftige Affäre eingegangen sind, die das Straßenbild färbt, obwohl wir in der weltoffenen Metropole leben.
(S.249) 



Erst einmal gilt zu sagen, dass das Cover grandios ist. Auf dem Bild kommt es nicht ganz so gut rüber, aber das Gelb ist in Wirklichkeit ein glänzendes Gold. Deutschland, wie es brennt.
Das Bemerkenswerte sind die Leser*innenführung und der Erzählstil. Beides zeugt hier von einer sehr talentierten Autorin. Ich weiß nicht, ob ich jemals einer so unzuverlässigen Erzählerin wie der in diesem Buch begegnet bin. Aber der Punkt ist, dass sich dadurch nichts an der Glaubwürdigkeit bzw. der Wiedererkennbarkeit unserer Realität in diesem Land ändert. Die Leserschaft wird auf eine harte Probe gestellt und muss eingestehen, dass sie längst bemerkt hat, was kaum einer ausspricht.

Der spitze Ton der Erzählerin, gepaart mit dem ausschweifenden Stil und der verschiedenen Ebenen konnten mich nicht nur gut unterhalten: Ich hatte das Gefühl, die Erzählerin würde neben mir sitzen und mir teilweise aus dem Herzen schreiben. Ich habe mich und auch andere Menschen wiedererkannt. Viele Diskussionen habe ich ähnlich selbst geführt oder miterlebt. Diese Mischung aus Fiktion und purem und realem Material wirkten wie ein Sog auf mich. Es war nicht wichtig, ob alles so passiert ist, allein die Tatsache, dass man es für möglich hält, etabliert eine Spannung.

Diese Spannung beruht darauf, dass es eine Rahmenerzählung bzw. einen anfänglichen Teaser gibt. Auf das Ende soll hingearbeitet werden. Als Leserin habe ich mich die ganze Zeit gefragt, wie es dazu kommen soll und es mit jeder Seite für unmöglicher und wahrscheinlicher zugleich gesehen, dass es so kommen wird, wie es zu Anfang prophezeiht wurde. Weil einem die Charaktere mit jeder Seite mehr ans Herz wachsen, die drei Kameradinnen. Deswegen hat die Spannung auch mit jeder Seite zugenommen, bis ich am Ende platt war.

Das Buch ist hart mit den Leser*innen, den Charakteren und Deutschland, könnte man meinen. Aber darauf würde ich antworten, dass das Leben in Deutschland für viele Menschen hart ist. In einem Land, in dem Demokratie und Gleichheit groß geschrieben und die Aufarbeitung der Geschichte eine allseits gegenwärtige Tatsache darstellen, steht es um die Toleranz gegenüber Migrant*innen (ganz besonders gegenüber dem Islam) und um gleiche Chancen immer schlechter. Was den Main Stream entweder nicht stört oder ihm zugute kommt. Deswegen ist es so wichtig, dass unsere Stimmen Gehör finden und in den Kanon der Literatur aufgenommen werden. Schon krass, dass es manchmal erst Fiktion braucht, um auszudrücken, was eigentlich in eine Reportage gehört...

Aber es geht hier noch um so viel mehr! Am Anfang dachte ich noch, dass es vllt zu viel ist und ich habe mich gefragt, wo die Erzählung hinführen soll. Aber man muss es als genau das sehen: Eine Erzählung. Besser noch: Als ein tiefgründiges Gespräch mit einer sehr guten Freundin. Hin und wieder schweift man vom Thema ab, um auf dem Nachbarfeld ins Schwarze zu treffen. Brisant und aktuell sind die Themen allemal und vor allem aus der Mitte des Lebens gegriffen. Am Ende habe ich mich über meinen anfänglichen Einwand nur gewundert. Letztendlich war es eine total runde Sache. Hinter der ganzen Unordnung habe ich System entdeckt. Ein interessanter Fakt ist vielleicht noch, dass es keine Kapitel gibt. Es ist eine zusammenhängende Erzählung. Die Autorin hat Mut zu experimentieren und ihren Mund aufzumachen sowie mit der Leserschaft zu spielen. Mir hat es ausgesprochen gut gefallen.

Aber man sollte sich darauf einstellen, besonders am Ende öfters zu schlucken und tief Luft zu holen, ich musste Pausen machen. Mehrmals hat die Autorin mir das Herz gebrochen und es dann wieder zusammengeschustert. Am Ende würde ich sogar sagen, dass sie nach einer aufregenden Achterbahnfahrt uns unsere 3D-Brillen abgenommen hat, damit wir draußen auf das echte Karussell vorbereitet sind. Auf dem wir schon unser Leben lang fahren, aber übel wird uns erst mit der Brille auf der Nase. Dabei habe ich in der Retrospektive den Eindruck, dass die Erzählerin uns trotzdem immer noch min. mit einem Samthandschuh angepackt hat. Wer das Buch zuschlägt, wird wohl kurz geschockt sein, sicherlich (hoffe ich!) nicht ungerührt und bestimmt ab jetzt genauer hinsehen. Und womöglich viele Situationen hinterfragen und auch nachträglich aus einer anderen Perspektive betrachten. Das wäre jedenfalls schon mal ein Anfang und ein Lichtblick.
Die Message, die ich empfangen habe, ist nicht, dass es darum geht, die Sichtweise zu wechseln, sondern anzuerkennen, dass es da draußen noch mindestens eine weitere gibt.

Bella Ciao
Trommelmusik
Elektro

"Brandkatastrophe klang erst mal nach Unfall und bei Unfällen musste man nicht wie sonst reflexhaft hoffen, dass keine nicht-weiße Person Schuld auf sich geladen hatte und damit die nächste vermeintliche Legitimation weiterer Stimmzugewinne der Nazis lieferte."

(S.328)

 



Es brennt, auch im Nachhall!


"Ich bin wie ein Krümel, der vom Tisch gefallen ist und trotzdem behauptet, Gebäck zu sein."
(S.248)







"'Ich würde es auch gern rückgängig machen.' Denn die Welt da draußen macht mir Angst, und es war schön, einen Freund zu haben, den die Welt nicht so sehr in Panik versetzt, denn er ist von all dem zwar betroffen, aber nichts davon ist dafür da, ihn zu treffen.
(S.347)







"Saya hat kein Trauma. Wir haben alle keins. Also, wahrscheinlich haben wir alle eins, ein Trauma, das Leute wie wir halt so haben." 
(S.40)

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"Ihr wart nämlich bei euren Hilfsaktionen zu allen nett, auch zu den Leuten, vor denen ihr euch ein wenig gefürchtet habt, ihr wart ganz tapfer liebevoll, auch dann noch, als ihr euch gefragt habt, ob Terroristen unter euren Schutzbefohlenen sind, dann wart ihr zwar immer noch liebevoll, aber eben auch Rassisten, liebevolle Rassisten."
(S.40)


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"Ich habe Angst, dass er sich nutzlos fühlt, weil er so was Überflüssiges sagt, also lache ich und tue so, als wäre mir das nicht unangenehm."  
(S.28)

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"'Ich höre jetzt auf, weiterzuschreiben. Das hat keinen Zweck, denn ich versuche mir permanent vorzustellen, wer ihr seid, während ihr euch vorzustellen versucht, wer wir sind. 
(S.26)


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"Beim Lachen nämlich merkten sie nicht, dass ich sie anstarrte, um mir jedes Detail einzuprägen, denn es gibt wenige Menschen, die man so gut kennt, dass man immer wieder aktualisieren muss, wie sie gerade aussehen." 
(S.25)


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"Wenn wir irgendwann die Siedlung verlassen würden, käme für uns als neues Zuhause nur diese Stadt mit ihren vielen Versprechen infrage. Mit den Versprechen von Abenteuern und Freiheit, vor allem aber dem, dass wir hier endlich einmal nicht auffallen würden. 
(S.18)


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"Sie erzählte dann also und sah dabei gar nicht nach Katastrophe aus. Sie sah aus wie jemand, der sowieso jede Katastrophe überstehen würde und dabei auch noch ganz genau wusste, wie man es sich hinterher so richtig gemütlich macht. 
(S.12)


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Kommentare

  1. Deine Rezension finde ich klasse. Man kann sich so gut hineinversetzen. Das Cover kam am Anfang etwas eigenartig und unklar rüber. Liegt wahrscheinlich an den Lichtverhältnissen!

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