Jeder Tag ist eine Schlacht, mein Herz [Rezension]


"Ich glaube, in dir steckt mehr, als du denkst, Zelda" 



Titel: Jeder Tag ist eine Schlacht, mein Herz
Autor: Andrew David MacDonald
Übersetzung: Aus dem Englischen von Sophie Zeitz
Verlag: dtv
Seiten: 656
Erscheinungsjahr: 2021 (2020)
ISBN: 978-3-423-28243-7
Genre: Kritische Auseinandersetzung, Aus dem Leben gegriffen
Art: fester Einband


"Nur ich selber darf sagen, dass ich zurückgeblieben bin. [...] Das ist okay. Wenn ich das sage, nehme ich mir die Kraft des Wortes und ziehe Stärke daraus, so wie wenn schwarze Leute das N-Wort benutzen.
(S.93) 

 

"Der Wikinger, den mir mein Bruder zum Geburtstag schenkte, war groß und muskulös. 






Zelda ist einundzwanzig und sieht die Welt ein bisschen anders als andere Menschen. Sie besucht Kurse für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, und die Bibliothek gehört zu ihren Lieblingsorten. Ihr älterer Bruder Gert würde alles für Zelda tun, aber manche Leute bezeichnen ihn als Schlägertyp. Das ist ungerecht, findet Zelda, doch es lässt sich nicht leugnen, dass er in schlechte Gesellschaft geraten ist. Ihn daraus zu befreien ist eines von Zeldas Zielen - und bei Weitem nicht das einzige...
Mit Charme und Unternehmungsgeist macht sie sich auf die Suche nach ihrem Platz im Leben.

 

"Am Pokertisch des Lebens gibt es Leute, die keine guten Karten haben, und wenn sie das sehen, werfen sie sie gleich hin. Sie spielen gar nicht erst mit. Ich glaube, dass ich so jemand war. Aber selbst wenn Sie mir kein Stipendium geben und ich nicht ans Rivergreen College komme, habe ich es satt, die Karten hinzuwerfen, denn ich weiß, dass meine Schwester zu denen gehört, die ihre Karten ausspielen, egal wie schlecht ihr Blatt ist.
(S.364) 



Wer dieses Buch aufschlägt, sollte sich wappnen! Uns springt förmlich eine ganze Wikinger-Truppe entgegen mit einer unfassbar legendären Anführerin: Zelda! Sie nimmt uns mit durch eine wohl sehr prägende Zeit ihres Lebens: Wie sie lernt, ihre eigenen Stärken einzusetzen und das Leben ihres Bruders, ihres Beschützers zu retten, indem sie ihre eigene Legende schreibt. Wenn das nicht motivierend auf die Leser*innen wirkt, dann weiß ich auch nicht. Ich habe das Buch eben zugeschlagen, mit feuchten Augen. Und einem Lächeln im Gesicht. Am liebsten würde ich gleich anfangen, meine eigene Legende zu schreiben, aber das ist nicht die Message. Sie ist viel mehr die, dass wir das ohnehin tun, mit jedem Tag den wir meistern und für das einstehen, woran wir glauben.

Mit Zelda hat Andrew David MacDonald nicht einfach nur einen Romancharakter, sondern einen Menschen erschaffen. Eine Freundin, eine Kämpferin, ein Vorbild. Während des Lesens hatte ich durchweg ihre Stimme im Ohr, obwohl ich diese noch nie gehört habe. Bei den "Nebencharakteren" war es nicht anders: Sie wurden durch Zelda ebenfalls sehr plastisch gezeichnet, sodass das Leseerlebnis unheimlich intensiv war. Wenn es hier keine Verfilmung geben wird, dann weiß ich auch nicht! Zeldas Sprache wirkt sehr authentisch. Ich würde mal sagen, dass wir auch viel über das Wikingeruniversum lernen, denn dort fühlt sich Zelda zuhause.

Unverhofft kommt oft... So würde ein Außenstehender die Lebenssituation der Geschwister Zelda und Gert wohl umschreiben. Nicht nur, dass die Mutter Alkoholikerin war und an Krebs starb, oder, dass der Vater über alle Berge und der Onkel ein Unhold ist. Nein, auch Gert selbst ist in krumme Geschäfte verwickelt und als Schlägertyp bekannt. Dass seine kleine Schwester da auch noch mit einer Behinderung leben muss, so möge manch einer behaupten, ist zu viel des Guten und höchst unwahrscheinlich. Glaubst du, sag ich da nur. Denn leider hängen die meisten Schicksalsschläge miteinander zusammen und sind für viele Menschen Realität. Wie sagt man so schön: Armut und Elend vererben sich. Da hat man aber noch nicht mit Zelda abgerechnet: Sie zeigt auf beeindruckende Weise, dass nicht überall das drinsteckt, was draufsteht. Sie verzichtet auf die Opferrolle und gehört zu den mutigsten Menschen zwischen diesen Seiten. Sie reißt das Etikett ab, das ihr aufgeklebt wurde und ist für die da, deren Aufgabe es eigentlich ist, sie zu beschützen. Was lehrt uns das? Wir sollten verdammt nochmal mit unseren Schubladen aufhören. Das Leben ist zu schade für eine einzige ausgelatschte Perspektive. Und es gibt keine Grenze zwischen "normal", "anormal", "behindert" und "total ungehindert". Wir sind alle komplett verschieden und vor allem ist gestern nicht morgen. Wir entwickeln uns ständig.

Es ist auch nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen. "Wenn ich es recht überlege, ist fast gar nichts gut". Würde der Pessimist sagen. "Warum muss ich dann die ganze Zeit beim Lesen schmunzeln?" Sagt der Optimist. "Stimmt doch gar nicht, gerade hast du noch das Buch entsetzt zugeschlagen". "Und du hast eine Träne verdrückt". So streiten sie sich und werden sich nicht einig. Wie im echten Leben. Wobei ich damit nicht andeuten möchte, dass die meisten von uns auch nur einen Bruchteil von dem erlebt haben, was Zelda widerfährt. Sie ist den meisten von uns an Lebenserfahrung überlegen. Einige kritisieren, dass das FASD heruntergespielt wird, weil Zelda ein so fortschrittliches "Exemplar" dieses Syndroms ist. Das halte ich für völligen Quatsch! Leser*innen müssen nicht mit Samthandschuhen angepackt werden. Sie können schon noch selbst denken. Und außerdem geht es genau darum: Wir sollten einen Menschen nicht nach dem beurteilen, was er sein soll oder was man über ihn sagt, sondern danach, was er wirklich ist. Zelda hat liebe Menschen um sich, die an sie glauben. Und was noch wichtiger ist: Sie glaubt selbst an sich. Deswegen wurde sie so gefördert, dass es ihr möglich ist, immer selbstständiger zu werden. Das färbt auf ihr Umfeld ab.
Aber es zeigt, dass MacDonald sich nicht zu schade ist, auch unschöne Szenen darzustellen. Und aus Zeldas Perspektive wirkt es nochmal echter und berührender. Aber es macht einen auch wütend. Es werden einige wichtige Themen angesprochen, die Ernst genommen werden müssen. Dafür sind Geschichten wie diese genau das richtige: Durch sie können die Emotionen der Leser*innen erreicht werden, ohne dass es zu ernst wird. Nicht ernster als das Leben selbst.
Man könnte einwenden, dass neben der Behandlung von Der FASD-Syndroms zu viele anderen Themen eine Rolle spielen, wie Homosexualität, Rassismus, Gewalt, Kriminalität, Drogen... Aber genau das wäre ein falsches Bild: Es würde bedeuten, dass wir überfordert wären, wenn wir in zwei oder mehr Bereichen gleichzeitig für mehr Toleranz einstehen sollen. Im echten Leben können wir auch nicht alle anderen "Probleme" oder Aspekte ausblenden, wenn wir uns auf eine Sache konzentrieren wollen. Live and fight for Diversity!
Denn letztendlich geht es für uns alle nur darum: Unsere eigene Legende so gut wie möglich zu schreiben. Das Wissen um mehr Toleranz und Offenheit, aber auch Aufklärung, verhilft uns zu Stärke, die wir in der Schlacht gut gebrauchen können. Denn die erleben wir jeden Tag aufs neue, soviel ist mal klar. Skål, wie Zelda jetzt sagen würde.

Wichtige Botschaften:

1. Jeder Tag ist eine Schlacht
2. Wir alle sind Krieger
3. Und können uns unsere Sippe, für die wir das Schild hochhalten, selbst aussuchen
4. Die Welt besteht nicht nur aus Helden und Unholden
5. Und dennoch gibt es von beidem mehr als man denkt
6. Auch Frauen können eine holde Maid haben und in die Schlacht ziehen
7. Und manchmal brauchen diejenigen unsere Hilfe, die uns sonst beschützen
8. Die besonderen Ereignisse im Leben stehen auf keiner Liste
9. Und manchmal müssen wir die Regeln selbst festlegen
10. Um am Ende epochalen Mut zu beweisen und unsere eigene Legende zu schreiben

Walkürenritt ~ Wagner
Thunderstruck ~ACDC
Bon Jovi
Rap-Musik


"Studenten sehen ganz anders aus als Wikinger. Sie haben wenig Muskeln, die meisten jedenfalls. Nur manche waren groß und hätten sich gut auf dem Schlachtfeld geschlagen. Aber die Schlachten. in denen sie hier kämpften, fanden im Gehirn statt."

(S.95)

 



Ein Malkasten voller bunter Emotionen!


"Weinen ist wie Gähnen. Wenn einer weint, fangen alle an."
(S.106)





"Dabei sind die wichtigsten Momente im Leben - die Momente, die es wertzuschätzen gilt - die, mit denen wir nicht gerechnet haben.
(S.323)





"Manchmal besteht die Welt nicht einfach aus Helden und Bösewichten." 
(S.344)

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"Einer der Tricks, als ich anfing, die Wikingersprache zu lernen, war, mir die Hand vor den Mund zu halten, und wenn meine Hand nass wurde, wusste ich, dass ich die Wörter richtig aussprach."
(S.9)


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"Manchmal rollt er Bindfadenstücke, die er irgendwo findet, zu winzigen Knäueln auf und kaut darauf herum, was eklig ist, aber wenn man jemanden liebt, muss man versuchen, sich über seine ekligen Angewohnheiten nicht aufzuregen, wenn er nichts dafürkann."  
(S.14f.)

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"Manchmal finde ich, ich müsste auch blond sein, weil ich mich am besten mit Wikingern auskenne, aber dann fällt mir ein, dass es nicht die Haarfarbe ist, die einen zum Wikinger macht."
(S.21)


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"Es gab so viele Stapel von Unterhosen und BHs und anderen Dingen, von denen ich nicht mal wusste, wie man sie anzog. Es war wie ein Zoo der Unterwäsche und Sexyheit." 
(S.141)


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"Wenn Typen viel reden wollten, sagte sie, hatte daws gewöhnlich was zu bedeuten. Aber meistens sagen sie nicht, was sie eigentlich meinen. 
(S.197)


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"Das ist ganz wichtig. Sex ist das, was du willst. 
(S.201)


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"Da fing mein Gesicht auch zu lächeln an. Ich machte es nicht absichtlich. Aber ich spürte das Lächeln, und dann lächelte auch mein Inneres, weil ich verstand, was Dr. Laird meinte.  
'Mit anderen Worten', sagte er, 'du lebst deine eigene Legende.' 

(S.216)


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