Der Heimweg [Rezension]
Titel: Der Heimweg Autor: Sebastian Fitzek Verlag: Droemer Seiten: 393 Erscheinungsjahr: 2020 ISBN: 978-3-426-28155-0 Genre: Thriller Art: fester Einband
"Nach all den Verletzungen, die ihr an den empfindlichsten Stellen ihres mit Blutergüssen übersäten Körpers schon beigebracht wurden; nach den Schlägen ins Gesicht, auf den Rücken, in Nieren und Unterleib, worauf ihr Urin für Tage die Farbe Roter Bete annahm; nach all den Schmerzen, die er ihr mit Gartenschlauch und Bügeleisen zugefügt hatte, hätte sie niemals gedacht, so etwas jemals wieder empfinden zu können. " Es ist Samstag, kurz nach 22.00 Uhr. Jules Tannberg sitzt am Begleit-Telefon. Ein ehrenamtlicher Telefon-Service für Frauen, die zu später Stunde auf ihrem Heimweg Angst bekommen und sich einen telefonischen Begleiter wünschen, dessen beruhigende Stimme sie sicher durch die Berliner Nacht nach Hause führt - oder im Notfall Hilfe ruft. "Es ist kein Wunder, dass Menschen in ihrem Todeskampf oft davon berichten, wie kalt ihnen wird. Weil sie eins werden mit der einzigen Konstante des Universums."
(S.210) Ein Fitzek, ganz eindeutig! Das erkennt man nicht nur an der ausgefallenen Aufmachung und dem Setting sowie dem Aufhebens um das Buch, sondern auch an dem Schreibstil. Dieser ist on point. Er benutzt einen reichhaltigen Wortschatz und vor allem viele Bilder, die zu der Thematik und Grundstimmung der Personen passen. Deswegen wirkt die Sprache manchmal hart und derb, was aber auch seinen Effekt hatte: Nicht umsonst übertrug sich das grausige Gefühl der leidenden Menschen in diesem Buch auf mich. Nicht selten wollte ich das Buch weglegen, weil es einem bestimmt eher Energie und Lebensfreude nimmt, als dass es sie gibt. Aber es war so spannend! Es gibt sehr viele Verstrickungen und Wendungen, sodass jeder ins Kreuzverhör gerät. Und es werden viele kleine Details beschrieben, genauso wie Fun-Facts den Lesenden schlauer machen und die doch sehr düstere Geschichte auflockern. Diese scheinen, vorsichtig gesagt, direkt aus Fitzeks Alltag zu stammen, etwa die Richtung, in der man Besteck in die Spülmaschine stellen sollte. Was ich sehr gut finde, ist, dass Fitzek Themen wählt, zu denen es einen gesellschaftlichen Anlass gibt, die aber, wie er selbst in seinem sehr eindrucksvollen Nachwort schreibt, nicht zu politisch aufgeladen sind, da es um die Unterhaltung gehe. Und die Fakten, die er dazu nennt, sind teilweise höchst schockierend. Etwa der, dass es bis 1997 in Deutschland legal war, seine Frau zu misshandeln (vgl. S.351). Ich vertraue darauf, dass die Angaben korrekt sind, ich war diesbezüglich selbst nicht auf Recherche. Was ich aber mit großer Leidenschaft beim Lesen verfolgt habe, sind die Schauplätze. Da habe ich eifrig gegoogelt. Ich hatte auch beim Lesen den Eindruck, dass der Autor es darauf angelegt hat, denn er macht einem die Verfolgung nur zu leicht. Im Internet habe ich dann gesehen, dass es tatsächlich Karten von Berlin mit Fitzek-Schauplätzen gibt. Über Touren würde ich mich auch nicht wundern. Wie ist nun meine doch eher mäßige Bewertung zu erklären? Nun, ein Thriller steht und fällt mit der Auflösung. So spannend der Ritt doch ist, so bedeutungsvoll ist auch der Fall und wie er letztendlich von statten geht. Klar ist: Irgendwie müssen wir am Ende vom hohen Ross runter. In diesem Fall waren es mir irgendwann einfach zu viel, auch zu viel kriminelle Energie und unglaubwürdige Beweggründe dahinter. Von Anfang an war mehr oder weniger klar, dass es einen großen Twist geben würde, nur noch nicht seine Richtung, da sich im Laufe der Geschichte mehrere Möglichkeiten aus Sicht der Lesenden ergeben. Aber es war doch schon ziemlich konstruiert, wenn ich jetzt zurückdenke. Die Spannung möchte ich dem Buch aber keineswegs absprechen. Die war schon beinahe mit Händen zu fassen. Oft wird über dieses Buch gesagt, dass es sehr heftig und wohl bis jetzt Fitzeks gewalthaltigster Roman wäre. Ich habe nicht alle seine Thriller gelesen, aber verstehe die Bewertung. Es ist tatsächlich ziemlich krass, sodass sich ständig sämtliche Nackenhaare aufgerichtet haben. Man wird mit einem ziemlich vielseitigen Spektrum von Gewalt bedient. Um es zynisch zu sagen: Für jeden ist was dabei. Und das ist vielleicht zu viel des Guten. Als wollte man alle menschlichen Abgründe in ein Buch packen. Fairerweise sollte ich aber noch sagen, dass es trotzdem ein klares Leitthema gab: Die häusliche Gewalt an Kindern und Frauen. Mir gefällt gut, wie Fitzek seine Leitthemen offen behandelt, sodass man verschiedene Perspektiven einnehmen kann. Seine Position wird zwar auch im Vor- und Nachwort deutlich, aber die Figuren handeln nicht immer danach. Als Leserin habe ich mir deswegen selbst eine Meinung bilden müssen: Wie kommt es, dass sich Gewalt und die Opferrolle "vererben"? Wie ist es ethisch vertretbar, diese Kette zu durchbrechen? Genau damit spielt Fitzek. Jeder, der darauf bereits eine vorgekaute Position serviert bekommen möchte, wird hier schlecht bedient. Und das finde ich gut so. Zu guter Letzt möchte ich noch loswerden, dass ich mich während des Lesens darauf gefreut habe, dass es bald vorbei ist. Es war echt grausam, so sehr wird man in diese Welt hineingezogen.
(S.364)
So spannend und ungemütlich, dass ich darauf hingefiebert habe, das Buch wieder weglegen zu können. Leider too much und konstruiert.
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